Wenn Klempner streiken, tropfen Wasserhähne und Toiletten verstopfen. Wenn Busfahrer streiken, müssen Menschen zu Fuß in die Arbeit laufen oder sich im Auto durch endlose Staus quälen.
Wenn allerding Ärzte streiken, sollte das, theoretisch jedenfalls, Grund zur ernsthafter Sorge sein: Da wird offensichtlich versucht, auf dem Rücken von kranken Menschen einen Arbeitskampf auszufechten und mehr Geld, Freizeit oder andere Annehmlichkeiten herauszuschlagen, und das noch dazu von einer ohnehin privilegierten Berufsgruppe.
Sollten wir also nicht davor Angst haben, dass ein Ärztestreik zu längerem Krankheitsverlauf und zu mehr Todesfällen führt, die vermeidbar wären?
Erstaunlicherweise ist das Gegenteil wahr: Es gibt umfassende und seriöse Statistiken, die beweisen, dass fast immer, wenn Ärzte streiken, die Anzahl der Todesfälle nicht steigt, sondern sogar zurückgeht.
Ein Leitartikel der Ärztezeitung im Jahr 2015 berichtete von einer im British Medical Journal veröffentlichten Studie einer Arbeitsgruppe der Harvard Medical School, die folgende Erkenntnisse lieferte:
- Während eines fünfwöchigen Streiks 1976 in Los Angeles County, an dem bis zu 50 Prozent der Ärzte beteiligt waren, stieg die Sterblichkeit in der bestreikten Region nicht nur nicht, sie sank sogar.
- 1983 streikten 73 Prozent der Ärzte in Jerusalem vier Monate lang und verweigerten den Dienst in Kliniken. Die Mortalität blieb davon unbeeinflusst.
- In Spanien traten 1999 die Ärzte im Praktikum neun Tage in den Streik, was an den Sterblichkeitsziffern nichts änderte.
- Bei einem weiteren, dreimonatigen Ärztestreik in Jerusalem im Jahr 2000 ging die Zahl der Begräbnisse im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück.
- 2003 streikten die Ärzte in Kroatien für vier Wochen, ein Einfluss auf die Mortalität war nicht zu beobachten.
In unserem eigenen Archiv haben wir noch mehr Daten zu diesem Phänomen gefunden:
- Ärztestreik 1978 in Brasilien: 14.000 Tote weniger als zuvor
- Ärztestreik 1979 in Belgien: 6.000 Tote weniger
- Ärztestreik 1979 in Italien: 30.000 Tote weniger
- Ärztestreik 1986 während 14 Tage in einem italienischen Krankenhaus: keine Toten, sonst im Durschnitt 43 pro Tag
- Ärztestreik 2000 in Israel: 40% weniger Todesfälle
Die Vermutung liegt nahe, dass “eine kommerziell motivierte, gefährliche Überversorgung der Patienten mit medizinisch nicht sinnvollen Maßnahmen” vorliegt, wie das Info-Netzwerk Medizin 2000 formuliert: “Schon lange steht der tabuisierte Verdacht -zumindest in den Industriestaaten – im öffentlichen Raum, dass viel zu viele ärztliche Leistungen erbracht werden, die mit zahlreichen, zum Teil lebensgefährlichen, Risiken einhergehen.
Werden die gelegentlich aus rein kommerziellen Gründen durchgeführten Untersuchungen und Therapien während eines Ärztestreiks nicht erbracht, so reduziert dies zwangsläufig die Zahl der zum Tod der Patienten führenden Komplikationen der aus medizinischer Sicht eher überflüssigen ärztlichen Leistungen. So werde beispielsweise in Deutschland doppelt so viele Herzkatheter-Untersuchungen durchgeführt wie in Österreich oder der Schweiz. Und 0,7% dieser 400.000 Patienten sterben als Folge der Untersuchung.”
Quellen: